Aufgrund des sich abzeichnenden Ausstiegs aus der fossilen Energiegewinnung steht das Rheinische Revier im kommenden Jahrzehnt vor großen Herausforderungen.
Über Jahrzehnte hinweg hat die Verstromung der im Rheinischen Revier abgebauten Braunkohle maßgeblich zu einer sicheren und kostengünstigen Energieversorgung unserer Volkswirtschaft beigetragen.
Für die Menschen im Rheinischen Revier stellt der Tagebau einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Erhebliche Steuereinahmen zu Gunsten der Kommunen sowie qualifizierte wie gut entlohnte direkte und indirekte Arbeitsplätze sorgen für eine positive regionalwirtschaftliche Entwicklung. Doch gerade im engeren Umfeld der Tagebaue musste dafür ein hoher Preis gezahlt werden: Erzwungene Umsiedlung, Verlust von Heimat und die unwiederbringliche Zerstörung der über Jahrhunderte gewachsenen gesellschaftlich-sozialen und naturräumlichen Strukturen. Dies gilt auch und gerade für den Tagebau Garzweiler II und somit die nordöstlichen und östlichen Teile des Kreises Heinsberg – vor allem auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz.
Deshalb gilt es schon jetzt - und damit ausreichend frühzeitig - für die Zeit nach der Braunkohle neue, regionalökonomisch starke Strukturen aufzubauen, die dabei helfen, dass diese Region, die aufgrund ihres Ressourcenreichtums erheblich zum Wohlstand der gesamten Bundesrepublik Deutschland beigetragen hat, künftig nicht abgehängt wird.
Gemeinsam stark
Wir begrüßen die zunächst großräumige Betrachtung des Rheinischen Reviers mit den Regionalverbänden „Zweckverband Region Aachen“ und „Region Köln-Bonn e. V.“. Zudem begrüßen wir die Absicht der Stadt Mönchengladbach, sich der Zukunftsagentur Rheinisches Revier anzuschließen. Die Bedeutung des Strukturwandels im Rheinischen Revier wird somit deutlich unterstrichen – auch und gerade durch die derzeitigen Initiativen zur Erstellung eines konsistenten regionalen Entwicklungskonzepts im Rheinischen Revier.
Der Fokus: Tagebaurand und sein Umfeld
Allerdings ist die Betroffenheit vom bisherigen Braunkohleabbau und vom zukünftigen Kohleausstieg nicht in allen Kommunen in gleicher Intensität vorhanden. Daher ist eine Prüfung und Einteilung von Teilregionen nach Graden der Betroffenheit vom Kohleabbau und vom Kohleausstieg dringend geboten. Es ist unabdingbar, dass eine regional orientierte Strukturförderung genau dort eingesetzt werden muss, wo Strukturen wegbrechen und Unterstützung tatsächlich gebraucht wird, d.h. fokussiert auf die unmittelbaren Tagebaugebiete und deren direktes räumliches Umfeld. Denn: Die Anliegen der vom Tagebau Betroffenen – auch im Kreis Heinsberg - müssen zu allererst wahrgenommen und berücksichtigt werden.
Tagebaufolge(n)landschaft Garzweiler
Die Stadt Erkelenz wird nach Beendigung des Tagebaus Garzweiler II ca. 25 Prozent ihrer Fläche an den Restsee verloren haben. 9 Ortschaften werden umgesiedelt sein, knapp 3.500 Menschen werden ihre Heimat verloren haben, vier Orte werden zu Tagebauranddörfern. Richtigerweise hat sich die Stadt Erkelenz mit den Gemeinden Titz und Jüchen und der Stadt Mönchengladbach zum Zweckverband Tagebau-folge(n)landschaft Garzweiler zusammen gefunden. Gemeinsam wurde ein „Drehbuch“ entworfen und zentrale Projekte einer neuen Landschaftsraumgestaltung sowie innovativen Wirtschafts- und Verkehrsinfrastrukturentwicklung herausgearbeitet. Diese wegweisenden Vorhaben sind unerlässlich, um den Menschen in dieser vom Braunkohletagebau unmittelbar betroffenen Region realistische und greifbare Zukunftsperspektiven anzubieten.
Zukunftsorientierte Wirtschaftsentwicklung im Tagebauumfeld
Das Ende der Tagebaue wird gerade unsere Teilregion, den gesamten Kreis Heinsberg, schon bald – und zum wiederholten Male innerhalb wenigen Jahrzehnten - mit einem tiefgreifenden wirtschaftsstrukturellen Wandel konfrontieren. Der schleichende Niedergang der Kunstfaserindustrie in den 1970er und 1980er Jahren, das Ende des Steinkohlebergbaus und die Konversion militärischer Standorte in den 1990er Jahren hatten solch weitreichende regionalwirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Folgen, dass sich der Kreis Heinsberg erst in den letzten Jahren davon erholen konnten. Dies darf sich bei der Braunkohle nicht wiederholen – Strukturbrüche müssen frühzeitig und konzentriert abgefedert werden.
Der Kreis Heinsberg hat bewiesen, wie Strukturwandel gelingen kann. Dies zeigen heute die wirtschafts- und arbeitsmarktbezogenen Kennzahlen unserer Region eindrucksvoll. Zurückzuführen ist diese Entwicklung vor allem auf zwei Faktoren: die Tatkraft der Menschen vor Ort, gepaart mit einem konzentrierten Einsatz der Strukturförderprogramme von Land, Bund und EU. Wir haben gelernt: Neue Technologien und innovative Ansätze sind gerade im Zeitalter der Digitalisierung von besonderer Bedeutung, um Entwicklungen zukunftsfähig zu machen. Aber für eine regionalisierte Strukturentwicklung, die die Menschen vor Ort, die wirklich Betroffenen mitnimmt, sind die Ansiedlung von produzierenden Unternehmen sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe und in der Industrie noch wichtiger. Gerade auch, um den im Braunkohletagebau tätigen Fachkräften eine Perspektive zu bieten und um diese an unsere Region zu binden. Dabei schließt die Ansiedlung von produzierenden Unternehmen die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung überhaupt nicht aus:
Die Umsetzung der in beispielhafter Weise in der Aachen-Jülicher Hochschul- und Forschungslandschaft entwickelten Innovationen in Wertschöpfung und Arbeitsplätze können im Kreis Heinsberg, als der „Werkbank der Region“, erfolgen. Entsprechende Projektansätze, die einen umsetzungsorientierten Technologie- und Innovationstransfer im Fokus haben, werden derzeit mit Hochdruck entwickelt und müssen prioritäre Beachtung erhalten.
Dazu gehört auch, dass der Kreis Heinsberg eines wichtigen Instruments der Wirtschaftsförderung nicht beraubt wird: Unsere Region muss nicht nur in der künftigen Förderperiode der Bund-Länder Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW), weiterhin Fördergebiet bleiben. Vielmehr muss uns - um auch mittelfristig konkurrenzfähig bleiben zu können - eine Einstufung als sogenanntes
„C-Fördergebiet“ gewährt werden.
Darüber hinaus gilt es aber auch, Investitionen in die Industrie- und Gewerbeflächen- und Verkehrsinfrastruktur zu forcieren. Mit Nachdruck fordern wir Land und Bund dazu auf, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen: So benötigen die Städte und Gemeinden im Kreis Heinsberg im Rahmen des anstehenden Regional-planungsprozesses einen größeren Handlungsspielraum, um eine nachhaltig zukunftsorientierte Siedlungs- und Gewerbeflächenentwicklung realisieren zu können.
Eine besondere Chance – für den Kreis Heinsberg, die Region, aber auch für das gesamte Land NRW – birgt die Entwicklung der zu großen Teilen ohnehin bereits seit Jahrzehnten im Landesbesitz befindlichen LEP VI-Fläche Geilenkirchen-Lindern. Hier besteht die einzigartige Möglichkeit, in Schlagdistanz zur Aachen-Jülicher Hochschul- und Forschungslandschaft, industrielle Großvorhaben von strukturpolitisch heraus-ragendem Stellenwert realisieren zu können.
Wege schaffen
Ebenfalls eine hohe Bedeutung kommt zukunftsweisenden Anbindung bzw. inneren Erschließung der Region zu. Wichtig ist dies für die regionale Wirtschaftsentwicklung, aber auch, um die Region als attraktiven Standort für Wohnen und Leben zu gestalten.
Gerade im direkten Tagebauumfeld bietet es sich an, neue und innovative Verkehrs-infrastrukturen im Großraum Kreis Düren, Kreis Heinsberg bis Mönchengladbach mit Ausrichtung auf die Rheinschiene zu entwickeln. Dabei sollten auch und gerade die heute noch genutzten Trasseninfrastrukturen der Tagebaue genutzt werden. Wir regen eine entsprechende Prüfung der Möglichkeiten nachdrücklich an.
Dies gilt in ähnlicher Weise auch für eine Reihe weiterer Verkehrsinfrastrukturprojekte auf Schiene und Straße, so der Ausbau der Bahnstrecke Aachen-Mönchengladbach und der schienengebundene Lückenschluss zwischen Hückelhoven-Baal und Linnich, der Bau der Landstraßen L 364n Hückelhoven-Hilfarth (Anbindung der LEP VI - Fläche in Geilenkirchen-Lindern) und L 364n Gerderhahn-Golkrath (Anbindung des Industrie- und Gewerbegebiets Wegberg Oval), der Bundesstraßen B 57n Ortsumgehung Baal (zur Anbindung des Industrie- und Gewerbegebiets Hückelhoven-Baal) und B 221n Unterbruch (zur Erschließung des BIZZPark Heinsberg-Oberbruch).